Was ist das Problem?
Medizinisch elektrische Geräte (ME-Geräte) müssen einer sog. elektrischen Schutzklasse zugeordnet werden. Obwohl die Schutzklassen klar definiert sind, scheint die korrekte Zuordnung immer wieder problematisch zu sein. Dies führt oft zu vermeidbaren Diskussionen zwischen Herstellern und Prüflaboren.
Wie ordne ich mein ME-Gerät der korrekten elektrische Schutzklasse zu?
Welche Schutzklassen gibt es bei ME-Geräten?
Die IEC 60601-1 definiert insgesamt drei elektrische Schutzklassen:
SK I
Geräte dieser Schutzklasse verfügen zusätzlich zur Basisisolierung über einen Schutzleiter, der als Schutzmaßnahme gegen elektrischen Schlag bestimmt ist. Der Schutzleiter ist mit berührbaren Teilen oder internen Teilen aus Metall verbunden.
SK II
Geräte dieser Art verfügen zusätzlich zur Basisisolierung über doppelte bzw. verstärkte Isolierung als Schutzmaßnahme gegen elektrischen Schlag. Es gibt keine Vorkehrungen zur Verbindung zu einem Schutzleiter.
Intern mit Strom versorgt
Diese Geräte verfügen über eine eigene interne Stromversorgung, z.B. eine Batterie.
Unklarheiten und Mythen
Die Norm-Definitionen mögen klar erscheinen. Allerdings kommt es in der Praxis regelmäßig zu Unklarheiten, die teilweise auf regelrechten "Mythen" basieren. Im Folgenden werden die häufigsten aufgeklärt:
Mythos 1: Metallgehäuse = SK I
In der Definition von SK I wird zwar definiert, dass berührbare Teile aus Metall mit dem Schutzleiter verbunden sind. Das bedeutet aber nicht im Umkehrschluss, dass ein Metallgehäuse immer mit dem Schutzleiter verbunden sein muss!
Es ist genauso gut möglich berührbare Teile aus Metall einzusetzen, die nicht schutzleiterverbunden sind. Diese finden auch an etlichen Stellen in der Norm Erwähnung, z.B. bei Ableitstrommessungen oder sogar explizit in Bild 4!
Bei Geräten mit berührbaren Metallteilen ohne Schutzleiterverbindung muss doppelte oder verstärkte Isolierung eingesetzt werden und es handelt sich dann um SK II.
Mythos 2: Schukostecker = SK I
Der Schuko-Stecker verfügt über drei Stifte: L, N und PE. Allerdings muss der PE-Stift nicht zwingend auch tatsächlich als Schutzleiter verwendet werden! Es kann sich ebenso um einen reinen Funktionserdleiter handeln, z.B. zur Abschirmung gegen Störstrahlungen. Auch dies wird in der Norm klar so beschrieben, allerdings nicht bei den Definitionen der Schutzklassen, sondern in Abschnitt 8.6.9.
In diesem Fall liegt zwar eine Verbindung zum Schutzleiter vor, aber solange der Hersteller dies nur als Funktionserdleiter definiert, handelt es sich nicht um SK I.
Auch hier handelt es sich um SK II und es muss entsprechend doppelte oder verstärkte Isolierung eingesetzt werden!
EIn Beispiel hierfür sind viele Notebook-Netzteile, die kein einziges berührbares Metallteil haben, aber trotzdem über einen Schuko-Stecker an das Versorgungsnetz angeschlossen werden. Hier handelt es sich um ein solches SK II Gerät, bei dem der dritte Leiter als Funktionserdleiter verwendet wird.
Unklarheit 1: Batterie = Intern mit Strom versorgt
Geräte, die über eine geräteeigene Stromversorgung verfügen, werden entsprechend als "intern mit Strom versorgt" klassifiziert. ABER: Verfügt das Gerät gleichzeitig über eine Anschlussmöglichkeit an das Versorgungsnetz, z.B. zum Laden der Batterie, so muss das Gerät zusätzlich SK I oder SK II zugeordnet werden!
Obwohl dies genauso in der IEC 60601-1, cl. 6.2 steht kommt es immer wieder vor, dass Hersteller solcher Geräte lediglich "intern mit Strom versorgt" anwenden. Nur selten werden solche Geräte zusätzlich als SK I klassifiziert, meist handelt es sich eher um SK II Geräte denen dann leider die entsprechende Kennzeichnung mit dem Symbol Nr. 9, Tabelle D.1 (Quadrat im Quadrat) fehlt.
Unklarheit 2: SELV = SK III
Diese Klassifizierung gibt es per IEC 60601-1 nicht! In anderen Normen gibt es diese Schutzklasse für Geräte, die mit sog. sicherer Schutzkleinspannung (SELV = Safety extra low voltage) betrieben werden. Das Konzept der SELV (oder auch PELV oder FELV) existiert aber in der Welt der medizinisch elektrischen Geräte nicht. Warum?
Nur bei Medinzprodukten muss der Patientenschutz zusammen mit dem Bedienerschutz betrachtet werden. Während es unter bestimmten Umständen Spannungen gibt, die für den Bediener als sicher betrachtet werden*, so gelten für den Patientenschutz einzig und allein die Grenzwerte der Patientenableit- und -hilfsströme! Selbst die Pole einer 1,5 V AAA-Batterie dürfen nicht direkt durch den Patienten berührbar sein. Der enstprechende Strom würde 1,5 mA betragen (gemessen nach IEC 60601-1), was weit über dem maximal erlaubten Patientenableitstrom von 100 µA DC-Strom im Fehlerfall liegt. Und selsbt für Bediener wäre dies nur erlaubt, solange er nicht gleichzeitig auch den Patienten berühren kann. In diesem Fall würde beim Ersten Fehler ein maximaler Berührungsstrom von 500 µA erlaubt sein, im Normalfall ebenfalls nur 100 µA.
Welche Schutzklasse trifft nun aber zu? Geräte, deren interne Betriebsspannungen unterhalb von 60 Vdc / 42,4 Veff betragen und die vom Versorgungsnetz sicher galvanisch getrennt sind, sind in der Regel SK II, da der Patientenschutz gegen diese (für den Bediener sicheren) Spannungen* meist durch doppelte oder verstärkte Isolierung erzielt wird.
*Laut IEC 60601-1, cl. 8.4.2 c) ist nicht nur die Spannung zu betrachten, sondern auch die verfügbare Leistung/Energie!!!
Wo finde ich Hilfe zur Lösung?
Die IEC 60601-1 thematisiert die Schutzklassen an verschiedenen Stellen, z.B.:
Die Schutzklassen sind ziemlich eindeutig in cl. 3.13 (SK I), 3.14 (SK II) und 3.46 (intern) definiert. Weitere Details sind in den Bildern 3 und 4 erläutert.
In cl. 6.2 wird klar festgelegt, dass intern mit strom versorgte Geräte mit einem Anschluss an das Versorgungsnetz gleichzeitig auch SK I oder SK II sind.
Darüberhinaus wird in cl. 8.6.9 das Thema SK II und der dritten Leitung im Schuko-Stecker beschrieben.
Einen Einstieg in die Erstellung eines Isolationskonzepts für ME-Geräte finden Sie in unseren beiden Blog-Beiträgen dazu:
Teil 1: Grundlegende Aspekte
Teil 2: Herleitung der Anforderungen an Isolationsbarrieren
Bei weiteren Fragen helfen wir Ihnen gerne! Kontakt
Und was bedeutet das konkret?
- Die Schutzklassen von medizinisch elektrischen Geräten weisen aufgrund der einzigartigen Patientenschutz-Anforderungen Besonderheiten auf, die sich von denen anderer Geräte unterscheiden.
- Die Klassifizierung wird dabei nicht von der Norm vorgeschrieben, sondern ergibt sich aus dem Design und dem elektrischen Isolationskonzepts des Herstellers!
- Die Klassifizierung sollte sich frühzeitig aus dem verfolgten Konzept des Schutzes gegen elektrischen Schlag ergeben.
Woran muss ich sonst noch denken?
Neben den allgemeinen Anforderungen der IEC 60601-1, kann es weitere besondere Festlegungen geben, die die Wahl der Schutzklasse einschränken. So ist nach IEC 60601-1-11 (Häusliche Umgebung) und -1-12 (Notfalleinsatz) SK I nicht erlaubt, da es hier unter Umständen keine verlässlichen installationsseitigen Schutzleiteranschlüsse gibt!
Weitere Infos zur IEC 60601-1 gibt es hier.