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Neue Übergangsfristen der IVDR in Kraft getreten.

Was sich durch die Verordnung (EU) 2024/160 noch ändert?

IEC 60601-1, Ed. 3.2 - Das zweite Amendment

Im Oktober 2020 wurde das zweite Amendment der IEC 60601-1 veröffentlicht.

Was ist das Problem?

Die letzte Änderung der IEC 60601-1 war das erste Amendment von 2012, auch bekannt als Edition 3.1 (die Ed. 3.0 ist sogar von 2005!). Damit sind beinahe 10 Jahre technische und normative Entwicklung vergangen. Das im Oktober 2020 veröffentlichte zweite Amendment (Ed. 3.2) enthält dringende Änderungen, die nicht mehr bis zur nächsten kompletten Überarbeitung warten konnten (Ed. 4.0, geplant für 2024, tendenziell wahrscheinlich später).

In diesem Beitrag werden die wichtigsten Änderungen erläutert.

Normative Verweise

Seit dem letzten Amendment von 2012 hat sich eine Menge getan. Daher war es notwendig, eine Vielzahl von normativen Verweisen auf den aktuellen Stand zu bringen:

  • Aufnahme der IEC 62368-1:2018 als zukünftiger Ersatz der IEC 60950 für IT-Equipment
  • Aktualisierung auf die ISO 14971:2019
  • IEC 62304:2006 mit AMD1:2015
  • Quasi alle Kollateralstandards 60601-1-x auf Amendment 2020 (z.B. -1-2, -1-3 -1-6, -1-8)
  • Aufnahme der IEC 60747-5-5 für Optokoppler
  • Aktualisierung auf die IEC 60825-1:2014 für Laser
  • Aktualisierung auf die IEC 62133-2 für Lithium-Akkus

Fazit:

Hersteller sollten darauf achten, die aktuellen Ausgaben der anzuwendenden Normen zu kennen. Insbesondere der IEC 62368-1 (Audio-, Video, IT- & Communication Equipment) kommt hier besondere Bedeutung zu, um den Konformitätsnachweis für Komponenten von ME-Geräten zu erbringen! Hierauf wird weiter unten noch detaillierter eingegangen.

Begriffe

Es wurden Begriffe mit anderen Normen in Einklang gebracht und auch einige neue Begriffe definiert.

  • Konsolidierung der RM-Begriffe mit ISO 14917:2019
  • Neu:
    • Elektromagnetische Störgrößen (nicht mehr EM-Verträglichkeit!)
    • Alarm-relevante Begriffe: Prioritäten (aus IEC 60601-1-8:2020)
    • Sicherheitszeichen (tatsächlich bisher nicht definiert!): "Sign giving a general safety message, obtained by a combination of a colour and geometric shape and which, by the addition of a graphical symbol, gives a general or particular safety message."

Fazit:

Keine wirklich relevanten Änderungen.

Impedanz und Strombelastbarkeit des Schutzleiters (cl. 7.3.7)

Bisher konnte mit irgendeiner 3 m langen Netzanschlussleitung geprüft werden. Ab jetzt muss der Hersteller eine geeignete Leitung zur Verfügung stellen oder diese ausreichend genau spezifizieren (Länge und Leitungsquerschnitte).

Klarstellung, wie der höchste Bemessungsstrom ermittelt wird: Bemessungsstrom entsprechend der Strombegrenzung des jeweiligen Stromkreises im Gerät bzw. der Hausinstallation (für Kreise ohne interne Absicherung).

Fazit:

Sollte der Hersteller ME-Geräte ohne Netzanschlussleitung ausliefern und prüfen lassen, so muss diese konkret spezifiziert werden. Die Sicherungen im ME-Gerät müssen detailliert ausgewählt und spezifiert werden.

Schutzleiterimpedanz von ME-Systemen (cl. 16.9.2.2)

Bisher war für ME-Systeme eine Impedanz des Schutzleiters von maximal 200 mΩ erlaubt. Dieser Wert wurde nun auf 400 mΩ erhöht, falls eine interne Überstrombegrenzung bis maximal 13 A vorhanden ist. Ohne eine solche Absicherung gilt weiterhin der strengere Wert.

Fazit:

Falls die Prüfung bisher bestanden wurde nicht relevant. Für ME-Systeme mit hohen Schutzleiterimpedanzen ergibt sich eine Lockerung der Anforderung, falls die notwendige Absicherhung

Einsicht in die Begleitpapiere (cl. 7.2.3)

Bisher wurde das Zeichen Nr. 10 aus Tabelle D.2 (auch bekannt als "Lesendes Männchen", "Märchenonkel" oder "Blauer Klaus") exzessiv genutzt, was nicht dem ursprünglichen besonderen Sinn dieses Zeichens entspricht. Daher wurde nun nochmal klargestellt, dass dieses Zeichen nur dann zum Einsatz kommen soll, falls die Einsichtnahme in die Begleitpapiere tatsächlich die primäre Risikominderungsmaßnahme für ein spezifisches Risiko darstellt. Dies muss sich demnach als Ergebnis des Risikomanagements ergeben. Darüberhinaus wird gefordert, dass die Wirksamkeit dieser speziellen Maßnahme im Rahmen der Gebrauchstauglichkeit nachgewiesen wird.

In Anhang A wurde noch folgender Hinweis ergänzt:

„The SAFETY SIGN ISO 7010-M002 (no. 10, D.2) should not be used for indicating that it is a mandatory action to read the instructions for use for the disclosure of RESIDUAL RISK “

Fazit:

In der Regel sollte das aufgeschlagene Buch (Symbol Nr. 11, D.2) verwendet werden, wenn die Begleitpapiere wichtige (auch sicherheitsrelevante) Informationen für den Bediener enthalten. Nur falls die Einsichtnahme in die Begleitpapiere tatsächlich zwingend erforderlich und durch das Risikomanagement als prinäre Risikominderungsmaßnahme festgelegt sowie die Gebrauchstauglichkeit auch als wirksam geprüft wurde, sollte der "Blaue Klaus" (Nr. 10, D.2) eingesetzt werden. Bei vielen ME-Geräten kann dies zu einer Vereinfachung der Kennzeichung führen, da hierdurch die zwingende blaue Farbe entfällt.

Bisher waren die Vorgaben für den Einsatz von Signallampen nur bezüglich der erlaubten Farben festgelegt. Insbesondere in Kombination mit Alarmlampen konnte dies zu Unklarheiten und teils unterschiedlichen Interpretationen führen.

Durch die engere Verzahnung mit der IEC 60601-1-8 (Alarmsysteme) wurde nun eine wesentlich klarere Abgrenzung festgelegt. Außerdem wurden die jeweiligen Gründe und entsprechenden zu erwartenden Bedieneraktionen beschrieben.

Die folgende Tabelle fasst die entsprechenden Festlegungen zusammen (nach Tabelle 2, IEC 60601-1, Ed. 3.2)

BezeichnungBedeutungLampeBegleittonBedieneraktion
Signal - WarnungGefährdungssituation soll vermieden werdenRot, nicht blinkend---Verhindern einer Gefährdungssituation, die zum Tod oder zu schweren Verletzungen führen kann
Signal - AchtungGefährdungssituation soll vermieden werden    Gelb, nicht blinkend---Verhindern einer Gefährdungssituation, die zu leichten bis mittleren Verletzungen oder Beschädigungen von Geräten führen kann
Signal - BetriebsbereitME-Gerät ist bereit für den BetriebGrün------
Alarm - Hohe PrioritätUnterbrechung des  aktuellen Arbeitsablaufs ist notwendig---Rot, blinkendSofortige Handlung, um Verletzung/Tod zu verhindern
Alarm - Mittlere PrioritätNeuplanung des aktuellen Arbeitsabauf ist notwendig---Gelb, blinkendUnverzügliche/zeitnahe Handlung, um Verletzung/Beschädigung zu vermeiden
Alarm - Niedrige PrioritätPlanung folgender Arbeitsabläufe ist notwendig---Gelb oder Cyan, blinkendAufmerksamkeit bei folgenden Handlungen
SonstigeKeine der obigenIrgendeine andere Farbe als Rot, gelb, Grün oder Cyan------

 

Fazit:

Grundsätzlich hat sich an den Anforderungen nichts geändert. Durch die klarere Darstellung könnten in Zukunft weniger Diskussionen auftreten.

Arbeitsspannung an berührbaren Teilen von SIP/SOPs (cl. 8.4.2)

Die Bestimmung der Arbeitsspannung von leitfähigen berührbaren Teilen von Signal-Ein-/Ausgängen (sog. SIP/SOPs, signal-input-/output-parts) wurde beschrieben. Dies ist wichtig zur Beurteilung, ob beim Berühren solcher Teile eine für den Bediener gefährliche Spannung vorliegt und entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen.

Hierzu wird das entsprechende Teil mit einem 10 kΩ-Widerstand gegen Erde belastet (Normal- und Fehlerfall!) und die über diesem Widerstand abfallende Spannung gemessen. Bei weniger als 60 V Geich- bzw. 42,4 V Spitzenspannung ist diese für den Bediener als sicher anzusehen. Bei höheren Werten ist eine weitere Prüfung der entsprechenden Berührungsströme notwendig.

Fazit:

Grundsätzlich hat sich an den Anforderungen nichts geändert. Durch die eindeutige Festlegung zur Bestimmung der Arbeitsspannung ist allerdings mehr Klarheit geschaffen worden und Diskussionen werden minimiert.
 

Arbeitsspannung allgemein (cl. 8.5.4)

Neben der Beschreibung der SIP/SOP-Arbeitsspannungsmessung wurde auch die allgemeine Bestimmung von Arbeitsspannungen konkretisiert.

Es wird nun klar festgelegt, dass die betreffenden Kreise stets geerdet werden sollen, es sei denn es existiert eine Isolationsbarriere von mindestens 1 MOP gegen Erde. In diesem Fall handelt es sich um einen tatsächlich erdfreien ("floating") Sekundärkreis. Die Norm spricht hier leider nur von MOP. Es wird nicht klarer ausgeführt, ob es sich um MOOP oder MOPP handelt. Demnach hängt es davon hab, ob der betreffende Kreis nur für den Bediener- (MOOP) oder aber auch für den Patientenschutz (MOPP) relevant ist.

Fazit:

Grundsätzlich hat sich an den Anforderungen nichts geändert. Durch die eindeutige Festlegung zur Bestimmung der Arbeitsspannung ist allerdings mehr Klarheit geschaffen worden und Diskussionen werden minimiert.
 

2 MOOP = 1 MOPP? Auf die Arbeitsspannung kommt es an! (cl. 8.5.1.2)

2 MOOP sind 1 MOPP. Diese Annahme galt bisher sehr oft, wenn nicht-ME-Geräte/-Komponenten verwendet wurden, die mit der IEC 60950-1 konform waren. Durch die Einführung der neuen IEC 62368-1 (die die IEC 60950 ersetzt), haben sich die Umstände allerdings etwas geändert!

Das Normungsgremium hat viel Arbeit in einen detaillierten Vergleich der geforderten Kriech-/Luftstrecken nach IEC 62368-1 und den geforderten Werten für Patientenschutz nach IEC 60601-1 gesteckt.

Als Ergebnis wird an mehreren Stellen auf folgendes hingewiesen:

  • Kriechstrecken für 2 MOOP nach IEC 60950-1 und IEC 62368-1 entsprechen 1 MOPP
  • Luftstrecken für 2 MOOP nach IEC 60950-1 entsprechen 1 MOPP bis zu Arbeitsspannungen von 500 Vrms / 707 Vdc
  • Luftstrecken für 2 MOOP nach IEC 62368-1 entsprechen 1 MOPP bis zu Arbeitsspannungen von 250 Vrms / 354 Vdc

Fazit:

Für ME-Geräte die an normalen Versorgungsnetzen mit bis zu 240 Vrms betrieben werden ändert sich nichts. Vorsicht ist geboten bei ME-Geräten mit höheren Arbeitsspannungen (meist interne Stromkreise), bei denen IEC 62368-1 konforme Komponenten zum Patientenschutz eingesetzt werden! Im Zweifelsfall müssen die tatsächlich implementierten Luftstrecken mit den Anforderungen der IEC 60601-1 verglichen werden.

Optokoppler (cl. 8.5.1.2)

Es wurde eine neue Bemerkung zu Konformitätsnachweisen von Optokopplern eingefügt. In der Vergangenheit gab es oft Diskussionen zwischen ME-Geräteherstellern und Prüfern, inwieweit Optokoppler noch geprüft werden müssen, wenn diese durch den Komponentenhersteller als IEC 60747-5-5 konform geliefert wurden.

Es wird nun klar vorgegeben, dass solche Optokoppler im ME-Gerät lediglich hinsichtlich der tatsächlchen Kriech-/Luftstrecken und der Spannungsfestigkeit geprüft werden müssen. Alle weitergehenden Prüfungen bezüglich isolierender Vergussmasse sind nicht zu wiederholen (Temperaturwechselprüfung, Spannungsfestigkeit mit Faktor 1,6). Der IEC 60747-5-5 Nachweis wird für diese Teilprüfunge als ausreichend anerkannt.

Fazit:

Hersteller sollten bei der Auswahl von Optokopplern als Schutzmaßnahme darauf achten, dass diese IEC 60747-5-5 konform sind. Darüber hinaus sollte der Hersteller bei der Implementierung darauf achten, dass die geforderten Kriech-/Luftstrecken (und auch Spannungsfestigkeit) auf den eigenen Platinen eingehalten werden!

Höchste Netzspannung (cl. 8.5.3)

Falls keine maximale bemessene Netzsspannung durch den Hersteller vorgegeben wird galten bisher 250 V. Dieser Wert wurde nun auf 240 V gesenkt. Dies ist auch dann relevant, wenn die maximale Bemessungspannung eines (einphasigen) ME-Geräts weniger als 100 V beträgt oder aber für intern versorgte ME-Geräte.

Fazit:

Die Auswirkungen sind eher marginal. So verringern sich die geforderten Kriechstrecken unter Umständen um Bruchteile von Millimetern, z.B. für 2 MOPP 7,9 mm anstatt 8,0 mm. Die Werte für Prüfspannungen nach Tabelle 6 ändern sich lediglich geringfügig, aber auch nur für 2 MOOP in Sekundärkreisen. Auf die geforderten Luftstrecken gibt es keine Auswirkung.

Theoretische Auswirkungen könnten sich bei Ableitstromprüfungen ergeben. Hier würde nun mit 264 V anstatt 275 V geprüft (inklusive 10% Überspannung). Dadurch könnten theoretisch die Ableitstromwerte um 4% niedriger ausfallen. Es ist aber kaum davon auszugehen, dass durch diese minimale Reduktion eine Prüfung anders ausfällt. Wer vorher nicht bestanden hat, nun aber formal bestehen würde, wäre immer noch extrem nah am Grenzwert (tendenziell noch Bereich der Messunsicherheit) und sollte weitere Maßnahmen zu einem sicheren Bestehen in Betracht ziehen!!!

Leitfähige Oberflächenbeschichtungen (cl. 8.9.1.16)

Es wurde ein neuer Abschnitt eingefügt, der sich mit dem Einfluss von abblätternden leitfähigen Oberflächenbeschichtungen auf Kriech- und Luftstrecken befasst. Dieser sollte klar in der Entwicklungsdokumentation betrachtet werden (Risikomanagement!) und im Zweifelsfall durch weitergehende Prüfungen beurteilt werden.

Fazit:

In der Regel ist dies relevant für Beschichtungen im Inneren eine ME-Geräts, wo abgeblätterte Beschichtungen zur Verringerung der Kriech-/Luftstrecken führen könnten, im Extremfall sogar zu einem Kurzschluss. Daher sollten z.B. Zulieferer von solchen Bauteilen (Platinen, interne Baugruppen) auf diese Problematik angesprochen werden und die notwendigen Nachweise zur Haltbarkeit der Beschichtungen eingefordert werden. In einer Bemerkung wird hierfür z.B. auf ISO 2409, ISO 4624 und UL 746C verwiesen.

Netzsicherungen und Überstromauslöser (cl. 8.11.5)

Bisher hieß es, "Schutzeinrichtungen müssen ein geeignetes Abschaltvermögen haben, um den maximalen Strom im Fehlerfall (einschließlich Kurzschlussstrom) unterbrechen zu können". Dies hat immer wieder zu Uneinigkeit darüber geführt, wie hoch denn "geeignet" sei. Oftmals werden Sicherungen mit einem Abschaltvermögen von 1.500 A eingesetzt.

Ab nun wird explizit gefordert, dass das Abschaltvermögen basierend auf den Erwartungen des Herstellers festgelegt werden muss, also auf dem zu erwartenden höchsten Strom und/oder dem zu erwartenden Kurzschlussstrom.

Fazit:

Der Hersteller muss nachweisen, wie er den maximalen Strom berechnet/bestimmt und warum die jeweilige Sicherung ausgewählt wurde.
 

Dynamische Kräfte aufgrund der Belastung durch Personen (cl. 9.8.3.3)

Der genaue Abstand zwischen dem Prüfkörper und der zu prüfenden Oberfläche wurde spezifiziert.

Aufgrund der gekrümmten Oberfläche des Prüfkörpers war es teilweise unklar, von wo aus die Fallhöhe von 150 mm definiert wurde. Nun ist eindeutig festgelegt, dass die Höhe von der untersten/tiefsten Stelle der gekrümmten Schaumstofffläche zur zu prüfenden Oberfläche zu messen ist.

Fazit:

Grundsätzlich hat sich an den Anforderungen nichts geändert. Durch die klarere Darstellung könnten in Zukunft weniger Diskussionen auftreten.
 

Sonstige sichtbare elektromagnetische Strahlung, IR- und UV-Strahlung (cl. 10.5, 10.6, 10.7)

LEDs wurden aus den Abschnitten zu sonstiger sichtbarer elektromagnetischer Strahlung, IR- und UV-Strahlung heraus genommen. Dafür wurde in den normativen Verweisen die IEC 60601-2-57 (Nicht-Laser-Lichtquellen für die Anwendung in der Therapie, Diagnose, Überwachung und für kosmetische/ästhetische Zwecke) aufgenommen. Diese wird auch im Anhang A zu den entsprechenden Abschnitten als anwendbar beschrieben, falls durch nicht-Laserlichtquellen ein photobiologischer Effekt erzielt werden soll.

Fazit:

Hersteller von ME-Geräten mit nicht-Laserquellen die in den Anwendungsbereich der IEC 60601-2-57 fallen, sollten diese mittlerweile kennen und anwenden (die aktuelle Ausgabe ist von 2011).

Oberflächentemperaturen (cl. 11.1)

Bisher hieß es, dass die Temperaturen von "Teilen von ME-Geräten" und "Anwendungsteilen" die Grenzwerte nicht überschreiten dürfen. Allerdings ist "Teile von ME-Geräten" recht schwammig und nicht fest definiert. Daher wurde dies ersetzt durch "berührbare Teile".

Es wird ab nun zusätzlich unterschieden zwischen berührbaren Teilen, die dazu bestimmt sind während des Betriebs berührt zu werden oder nicht.

  • Wenn dazu bestimmt gilt weiterhin Tabelle 23
  • Neue Tabelle 34 mit höheren Grenzwerten für berührbare Teile die wahrscheinlich berührt werden, aber nicht dafür bestimmt sind, während des Betriebs berührt zu werden

Die folgende Tabelle stellt die neuen Grenzwerte dar:

Oberfläche zu Berührung......bestimmt...nicht bestimmt
Metall und Flüssigkeiten74 °C80 °C
Glas, Porzellan und glasartige Materialien80 °C90 °C
Formpresstoffe, Kunststoff und Gummi86 °C104 °C
Holz86 °C150 °C

Diese Werte gelten für eine Berührdauer von weniger als 1 Sekunde. Bei längeren Berührdauern gelten weiterhin die bisherigen Werte von Tabelle 23.

Fazit:

Neben der bisherigen Festelgung, was berührbare Teile und was Anwendungsteile sind, muss der Hersteller nun zusätzlich festlegen, welche Teile zur Berührung bestimmt sind, und welche nicht. Diese Unterscheidung mit den neuen höheren Grenzwerten erleichtert es Herstellern, die Prüfung zu bestehen, falls es denn solch heiße Oberflächen gibt.

Brandverhütung und Leistungsbegrenzung (cl. 11.3, 13.1.2)

Generell wird ab nun auf die Entflammbarkeitsklassifizierung V-x gewechselt (bisher FV-x).

Für ein feuerfestes Gehäuse (cl. 11.3) wird nun gefordert, dass Stecker und isolierte Leiter nur noch V-2 einhalten müssen (bisher FV-1).

Sollten Batterien als auf 15W begrenzte Versorgunsgkreise eingesetzt werden (cl. 13.1.2), so wird nun expliziz gefordert, dass die Leistung vor irgendwelchen externen Schutzeinrichtungen gemessen wird. Es ist also nicht möglich, eine Batterie mit mehr als 15W durch eine externe Sicherung zu einem solchen leistungsbegrenzten Versorgungskreis zu machen.

Im Falle von sicheren Sekundärkreisen (max. 100 VA, cl. 13.1.2) wird nun explizit eine physische Prüfung/Messung der verfügbaren Leistung gefordert. Bisher war ein reine Prüfung der Entwicklungsdokumentation möglich.

Fazit:

Die teilweise geringere Anforderung an feuerfeste Gehäuse bzw. darin verbaute Komponenten ermöglicht es nun, auch andere Komponenten einzusetzen, welche bisher nicht erlaubt gewesen wären.

Die Klarstellung der Prüfungen von Batterien als auf 15 W leistungsbegrenzte Versorgungskreise verringert Diskussionen zwischen Herstellern und Prüfern, wie die Prüfungen genau durchzuführen sind und beschleunigt im besten Fall den Prüfablauf.

Die physische Prüfung von 100 VA sicheren Sekundärkreisen kann im Zweifelsfall schneller durchgeführt werden, als eine unter Umständen nicht vorhandene, nicht aussagekräftige oder aber auch sehr komplexe Entwicklungsdokumentation. Dies kann zu einem beschleunigten Prüfablauf führen.
 

IEC 62368-1 als Komponentennachweis

Die IEC 62368-1 wird an mehreren Stellen erwähnt, um den Konformitätsnachweis für Komponenten zu erbringen. Dabei wird immer wieder darauf hingewiesen, dass in der Regel ein Einsatz als reiner Bedienerschutz (MOOP) problemlos möglich ist. Als Einsatz für den Patientenschutz (MOPP) gilt dies jedoch nur sehr eingeschränkt. Es sind eine Vielzahl von Bemerkungen eingeführt worden, die hier teils sehr detailliert auf die entsprechenden Unterschiede zwischen der IEC 62368-1 und IEC 60601-1 eingehen.

Im Anhang A werden auch konkrete Szenarien für verschiedene Einsatzzwecke solcher Komponenten beschrieben.

Fazit:

Der Einsatz von IEC 62368-1 konformen Komponenten ermöglicht es, Schutzmaßnahmen zum Bedienerschutz (MOOP) problemlos zu implementieren. Aber Vorsicht ist geboten, falls hiermit auch Patientenschutz (MOPP) gewährleistet werden soll!

Bei neueren Komponenten sollte darauf geachtet werden, dass diese der aktuellen IEC 62386-1 entsprechen. Die IEC 60950-1 ist mittlerweile veraltet!

Übergangsfrist und Anwendbarkeit

Die IEC 60601-1 Ed. 3.1 ist im Oktober 2020 veröffentlicht worden. Damit ergibt sich aber keine ofortige Anwendbarkeit. Die internationale Norm muss nun in den jeweiligen Märkten entsprechend als nationale Norm überarbeitet werden, z.B. als DIN EN. Es obliegt dabei den jeweiligen Behörden und Normungsinstitutionen, bis wann das geschieht und wann die Norm auch anzuwenden ist. Bisher konnte man in der EU von mindestens drei Jahren Übergangsfrist ausgehen, die der jeweiligen EN-Ausgabe zugesprochen wurde. Wann und ob es im Rahmen der MDR zu einer Harmonisierung kommen wird ist derzeit fraglich.

Fazit:

Hersteller sollten die geänderten/neuen Anforderungen auf jeden Fall kennen und bei zukünftigen Entwicklungen beachten! Im Zweifelsfall sollte Kontakt mit der jeweiligen Benannten Stelle (oder den enstprechenden Überwachungsbehörden) aufgenommen werden, ob und wann das zweite Amendment dort als anwendbar gesehen wird.

Wo finde ich Hilfe zur Lösung?

Das zweite Amendment der IEC 60601-1 ist relativ groß geraten. Dies liegt aber auch daran, dass eine Vielzahl von normativen Verweisen und Begriffen geändert/eingefügt wurde. Dadurch kann es schwierig sein festzustellen, ob die Änderungen für ein spezifisches ME-Gerät relevant sind.

Im Zweifelsfall unterstützen wir Sie gerne bei konkreten Fragestellungen!

Und was bedeutet das konkret?

  • Durch die Aktualisierung der normativen Verweise kann es nötig sein, die entsprechenden anzuwendenden Normen nochmal zu betrachten.
  • Technische Änderungen an bestehenden Produkten durch das zweite Amendment scheinen, wenn überhaut, nur in absoluten Ausnahmefällen notwendig zu sein.
  • Die gesenkten Anforderungen an die Entflammbarkeitsklassifizierung von FV-1 auf V-2 für Stecker und isolierte Leiter in feuerfesten Gehäusen erleichtert die Auswahl entsprechender Komponenten.
  • Teilweise kann es nötig sein, die Entwicklungsdokumentation anzupassen, z.B. bei der Festelgung der Berührbaren Teile (dafür bestimmt oder nicht?) oder der Auswahl von Sicherungen mit geeignetem Abschaltvermögen.
  • Besonderes Augenmerk sollte auf die IEC 62368-1 beim Einsatz von AV-IT-Komponenten mit Schutzfunktion (MOOP vs. MOPP) gelegt werden.
Dr. Benjamin Weber
Laborleitung